Migration und Kriminalität – Ein Faktencheck

Seit vielen Jahren nehmen die Migrationsströme weltweit zu und Österreich stellt hier keine Ausnahme dar. Während der AusländerInnenanteil 2005 bei 9,4% lag so ist er 2015 bereits bei 13,3%. Wenn man MigrantInnen zweiter Generation und eingebürgerte AusländerInnen dazu rechnet verdoppeln sich die Zahlen. Nur die Schweiz, Estland und Luxemburg haben einen höheren AusländerInnenanteil in Europa. Doch obwohl der Kontakt zu MigrantInnen heute alltäglich ist, werden wir nicht toleranter. Selbst ein links-liberales Magazin wie das „Profil” veröffentlicht 2016 Rosemarie Schwaigers Forderung man möge die Sozialleistungen für anerkannte Flüchtlinge kürzen. Längst ist diese radikale Forderung politischer Mainstream. Doch wie konnte es so weit kommen?

von Kamil Pabis

Bereits von 1990 bis 2008 gab es eine leichte Zunahme der Fremdenfeindlichkeit, die sich bis heute noch verstärkt haben dürfte. Eine Theorie sieht Xenophobie als ein Symptom der Überforderung mit den komplexen Risiken einer modernen Gesellschaft. Vielleicht suchen wir in einer verwirrenden, chaotischen Welt zunehmend nach simplen Antworten?

MigrantInnen werden zum Sündenbock für die Abstiegsängste der Menschen, welche durch die globale Rezession noch befeuert werden. Fremde, die unsere Sozialleistungen stehlen. Eine Analyse über expansive Fiskal- und Geldpolitik, Schuldentragfähigkeit und Umverteilung ist unerwünscht oder unverständlich.
Außerdem erhöhen Kriege die Sichtbarkeit von MigrantInnen, welche kommen, weil ihre Heimat – Afghanistan, Irak, Syrien – zu gefährlich geworden ist. Wer die Kriege im Nahen Osten mitverursacht spielt keine Rolle, wenn man alles schwarzweiß sehen kann. Unser Wohlstand beruht zwar auf jahrhundertelanger Ausbeutung, aber viele Menschen fühlen sich nicht verantwortlich zu helfen.
Auch die terroristischen Anschläge auf das World Trade Center und weitere Anschläge in Europa machen Angst und diese irrationale Angst ist immun gegen evidenzbasierte Kritik. Obwohl Terrorismus nur einen Bruchteil aller Gewaltverbrechen ausmacht, spielt es dennoch eine unverhältnismäßig große Rolle im politischen Diskurs.

Doch was wenn Xenophobie mehr als nur Angst und Überforderung mit der Welt ist? Gibt es vielleicht rationale Gründe Migration abzulehnen weil sie uns schadet? Diese Frage lässt sich am besten beantworten wenn wir Kriminalität und Wirtschaftswachstum als Korrelat für gesellschaftlichen Wohlstand annehmen und untersuchen welchen Einfluss Migration darauf hat. In diesem Artikel wollen wir uns auf den Zusammenhang zwischen Kriminalität und Migration konzentrieren. Sind MigrantInnen kriminell? Welchen Einfluss hat Einwanderung auf die Kriminalität über kurz oder lang? Und hat der Islam eine Sonderrolle, als „Religion der Gewalt”?

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Inhaltsverzeichnis

I.
Migration vs. Flucht: eine Begriffsdefinition
Wie wichtig ist (AusländerInnen)Kriminalität?

1. Sind MigrantInnen krimineller? Erhöht Migration die Kriminalität?
A. Polizeiliche Kriminalitätsstatistiken
B. Daten aus der Vollzugsstatistik
C. Befragungen
1.1 Fazit: große Unterschiede zwischen MigrantInnengruppen
1.2. Warum sind jugendliche MigrantInnen (zweiter) Generation eher gewaltbereit?
1.3. Warum sind AusländerInnen in Gefängnissen überrepräsentiert?
1.4. Frauen als Opfer und Täterinnen

2. MigrantInnen und Flüchtlinge: nationale Unterschiede
3. Fördert Religion Kriminalität und Gewalt?
3.1. Exkurs: Religion als Schutzfaktor gegen Kriminalität

4. Einstellung zur demokratischen Gesellschaft und Gewalt – die Rolle des Islam
5. Religion, Herkunft und Integration
6. Fördert der Islam Gewalt gegen Frauen?

7. Zusammenfassung und Ausblick
8. Möglichkeiten und Grenzen der Politik

Migration vs. Flucht: eine Begriffsdefinition

In diesem Artikel wird überwiegend von MigrantInnen als Übergruppe gesprochen wenn es keine spezifischeren Daten gibt. Prinzipiell ist zwischen Flucht und anderen Formen der Migration zu unterscheiden. Erstere sind gezwungen ihr Land zu verlassen während ArbeitsmigrantInnen zwar auch vor Elend fliehen aber nicht akut um ihr Leben fürchten müssen. Es ist durchaus denkbar, dass sich syrische Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen in der Schulbildung unterscheiden. Viele Flüchtlinge sind außerdem traumatisiert und die Rate an psychischen Erkrankungen in dieser Gruppe ist etwa zehnmal höher als in der Allgemeinbevölkerung.

Außerdem gibt es wichtige Unterschiede zwischen AusländerInnen und StaatsbürgerInnen mit Migrationshintergrund. Nicht zuletzt unterscheiden sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen denn AusländerInnen werden unabhängig von ihrem Integrationsgrad als „BürgerInnen” zweiter Klasse behandelt (Wahlrecht, Sozialleistungen, etc).

Der sicherlich wichtigste Unterschied besteht jedoch zwischen MigrantInnen erster Generation und zweiter Generation. Kinder wachsen in einer ganz anderen Lebenswelt auf als ihre Eltern. Egal ob die Eltern eingebürgert werden oder nicht, sie kommen meist als „Bittsteller” ins Land und sind sich dessen bewusst. Doch wenn die Kinder als ÖsterreicherInnen aufwachsen und wie AusländerInnen behandelt werden, muss es zwangsweise zu Spannungen kommen.

AusländerInnen, StaatsbürgerInnen mit Migrationshintergrund sowie Nachkommen sind immer noch sehr große und heterogene Gruppen und es bedarf einer weiteren Aufschlüsselung nach kulturellen, ethnischen und nationalen Gesichtspunkten. Wenn uns solche (länder)spezifischen Daten bekannt sind, so werden diese erwähnt. Leider ist die Datenlage in Österreich lückenhaft, weshalb wir auf Daten aus dem deutschsprachigen und internationalen Kontext zurückgreifen werden. Es sei hier erwähnt, dass nationale Unterschiede nichts mit rassistischen Vorurteilen von Gewalt zu tun haben. Sie entstehen z.B. wenn sich die geografische oder wirtschaftliche Lage von Staaten oder Bevölkerungsgruppen so unterscheidet, dass bestimmte Gruppen eher emigrieren. So könnten Personen aus einer Region eher gebildet und daher weniger kriminell sein, verglichen mit anderen. Im Allgemeinen jedoch findet eine positive Selektion statt und Flüchtlinge sind besser gebildet als der dortige Bevölkerungsschnitt.

Doch auch die internationalen Daten haben Mängel. Kriminologen lamentieren seit langem die mangelnde Differenzierung polizeilicher Kriminalitätsstatistiken, die den Vergleich von MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen erschwert. Von rechts-konservativer Seite wird das Problem anders wahrgenommen und es heißt, der Staat hätte etwas zu verbergen. Das ist unwahrscheinlich denn tatsächlich zeichnen die Statistiken ein positiveres Bild von Einwanderung je feiner sie differenziert sind und je mehr Verzerrungsfaktoren berücksichtigt werden.

Wie wichtig ist (AusländerInnen)Kriminalität?

Laut Schätzungen könnte Kriminalität das BIP insgesamt mit 4 – 7% belasten, was in der gleichen Größenordnung liegt wie die Schäden durch Krebs und Herz-Kreislauf-Leiden zusammen! Leider gibt es keine Kopf-an-Kopf Vergleiche hierzu, aber es erstaunt doch, dass Kriminalität in einem vermeintlich sicheren Staat so teuer kommt. Die Erklärung liegt in den hohen indirekten Kosten von Verbrechen: Verhütung, Bekämpfung, Strafverfolgung; Traumatisierung, Angst und andere psychische Folgen von (Gewalt)verbrechen; Rehabilitation und entgangene Arbeitsleistung, etc.

Doch bevor wir uns mit den geschätzten Kosten einzelner Verbrechen auseinandersetzen, müssen wir verstehen warum diese Berechnungen wichtig sind. Niemand käme auf die Idee das Leiden als rein materiellen Gegenwert zu betrachten. Wenn wir verschiedene Probleme, seien es Krankheiten oder Verbrechen, vergleichen wollen, brauchen wir dennoch irgendeinen objektiven Standard. In einer Welt begrenzter Ressourcen müssen wir Triage betreiben und uns entscheiden ob wir z.B. in Krebs-, Mord- oder Vergewaltigungsprävention investieren. Indem wir alle indirekten, seelischen und körperlichen Folgen von Verbrechen abschätzen, in Kosten umrechnen, und summieren, werden diese miteinander vergleichbar.

Wie teuer kommen einzelne Verbrechen? Hierzu ein paar Beispiele. Während die durchschnittlichen Kosten für einen schweren Diebstahl bei 1.400 € liegen, richtet eine typische Körperverletzung wirtschaftliche Schäden in der Höhe von 32.000 € an. Mord schlägt mit fast 2 Millionen zu Buche. So werden schnell zwei Tatsachen deutlich. Erstens, dass AusländerInnenkriminalität ein bedeutendes Problem sein könnte und zweitens wird klar wie viel wichtiger die Prävention von Gewaltverbrechen im Vergleich zu Eigentumsdelikten ist.

Mehr Menschen bedeutet mehr Kriminalität, in Deutschland gibt es mehr Verbrechen als in Österreich. Wien ist eine wachsende Stadt und wird dadurch „krimineller“. Doch um herauszufinden ob wir ein Problem haben oder gar eine Krise herrscht, müssen wir fragen wie hoch die Kriminalitätsrate unter MigrantInnen ist.

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Quelle: http://diepresse.com/home/panorama/wien/3802905/Gewalt_Wie-unsicher-ist-Wien

1. Sind MigrantInnen krimineller? Erhöht Migration die Kriminalität?

Zuerst muss man sich vor Augen führen, dass wir es hier mit zwei unterschiedlichen Fragen zu tun haben. Einwanderung (Auswanderung) könnte an sich ein individueller Risikofaktor für Kriminalität sein, weil der Integrationsprozess zur sozialen Entwurzelung führt oder wenn MigrantInnen aus bestimmten Kulturen gewaltbereiter wären (z.B. importierte „Machokultur”). Selbst wenn dem nicht so ist, könnte die Kriminalität durch Einwanderung steigen, weil sozial unterprivilegierte, junge Männer die größte Gruppe an Einwanderern stellen und – ungeachtet ihrer Herkunft – eher kriminell werden. Vorab sei gesagt, dass all diese Faktoren eine Rolle spielen, wenn auch die Größenordnungen kontrovers diskutiert werden.

Für eine sinnvolle Analyse müssen erstmal drei wichtige Gruppen an MigrantInnen unterschieden werden: AusländerInnen, StaatsbürgerInnen mit Migrationshintergrund (1. Generation) und die Nachkommen dieser beiden Gruppen. Folgende Werkzeuge bieten sich an um MigrantInnen-Kriminalität zu untersuchen:
A. AusländerInnen – Polizeiliche Kriminalitätsstatistiken (PKS)
B. Alle Personen mit Migrationshintergrund (AusländerInnen + Eingebürgerte) – Vollzugsstatistik in Kombination mit Befragungen oder Census
C. Nachkommen von MigrantInnen – Befragungen, die überwiegend an Schulen durchgeführt werden; alternativ Vollzugsstatistik

Die Gruppe der AusländerInnen kann weiter unterteilt werden in ArbeitsmigrantInnen, Flüchtlinge, illegale GrenzgängerInnen und kleinere Teilgruppen wie TouristInnen und StudentInnen. Es würde politisch wenig Sinn machen deutsche StudentInnen oder indische RestaurantfacharbeiterInnen mit unerlaubt eingereisten NordafrikanerInnen über einen Kamm zu scheren.

A. Polizeiliche Kriminalitätsstatistiken (PKS) – AusländerInnenkriminalität

Die FPÖ wird nicht müde, auf Basis von selektiv interpretierten Kriminalitätsstatistiken (PKS) zu behaupten, die Ausländerkriminalität steige (Gudenus) oder sei gar am explodieren (Kunasek). Doch was kann die PKS und was nicht?

Es stimmt zwar, dass die PKS AusländerInnenkriminalität auf Bevölkerungsebene erfassen kann, aber gleichzeitig spiegelt die Statistik Anzeigeverhalten, Demographie und Polizeiarbeit wider. Deshalb eignet sich die PKS nur sehr bedingt für politische Entscheidungen und darf nicht zur Vorverurteilung führen, da eine Anzeige noch kein Gerichtsurteil ist. Bevor wir auf die Daten eingehen folgen daher einige kritische Worte zur Interpretation.

Die PKS erlaubt keine Aussagen über StaatsbürgerInnen mit Migrationshintergrund, denn in Deutschland und Österreich werden nur die Tatverdächtigen und deren Staatszugehörigkeit erfasst. Das ist insofern problematisch, weil man annehmen kann, dass unbescholtene AusländerInnen eher eingebürgert werden wodurch die Kriminalitätsbelastung in der Gruppe der verbleibenden AusländerInnen automatisch steigt.

Auch andere wichtige Faktoren werden gar nicht erfasst oder müssen erst in komplizierten Sekundäranalysen berücksichtigt werden. Darunter sind Alter, Geschlecht, sozioökonomischen Lage, Überrepräsentation von Kriminalität in Ballungszentren (Wohnort) sowie ethnische und kulturelle Abstammung. Außerdem enthalten die Rohdaten auch Verbrechen durch Personen mit Wohnsitz im Ausland und berücksichtigen nicht das Kriminalisierungsrisiko von MigrantInnen. Wie erwartet zeigen Studien, dass jugendliche MigrantInnen bei Gewaltdelikten 50% häufiger angezeigt werden. Die Gesamtstatistik beinhaltet zudem Vergehen, die nur durch AusländerInnen begangen werden können wie Verstöße gegen das Fremden- und Aufenthaltsrecht.

Mit diesem Wissen ausgestattet fällt es leicht nachzuvollziehen warum AusländerInnen in der Kriminalitätsstatistik überrepräsentiert sind. StraftäterInnen sind überwiegend männlich, jung, arm und wohnen in Ballungszentren. Auch AusländerInnen sind häufiger als der Bevölkerungsschnitt männlich, jung, arm und urban. Diese kriminalitätsfördernden Risikofaktoren müssen für einen „fairen” Vergleich mit der Gesamtbevölkerung herausgerechnet werden und je mehr solcher Verzerrungsfaktoren berücksichtigt werden, desto eher gleichen die Kriminalitätsraten der nativen Bevölkerung.
In einigen deutschen Untersuchungen bleibt die Kriminalitätsrate von AusländerInnen auch nach einer Korrektur erhöht, nicht jedoch bei der Wiener Kriminalitätsstatistik. Andere Studien zeigen, dass ArbeitsmigrantInnen (d.h. AusländerInnen, die einer regulären Beschäftigung nachgehen) gesetzestreuer sind als Deutsche oder SchweizerInnen.

Zumeist ist eine kleine Zahl von ausländischen IntensivtäterInnen gleichzeitig für viele Verbrechen verantwortlich während der Großteil der AusländerInnen und ÖsterreicherInnen gleichermaßen nie kriminell wird. Die Auswertungen zu ArbeitsmigrantInnen und internationale Daten deuten darauf hin, dass illegale GrenzgängerInnen für die erhöhte Kriminalität in der PKS verantwortlich sein könnten.

Insgesamt ist es jedoch kaum möglich alle Störfaktoren zu berücksichtigen. Deshalb kann man durch die Kriminalitätsstatistiken nur zeigen, dass Migrationsprozesse die Gesamtkriminalität erhöhen, aber nicht ob Migration auf individueller Ebene krimineller macht.

B. Daten aus der Vollzugsstatistik – MigrantInnen und deren Nachkommen

Solche Studien sind im deutschsprachigen Raum selten und es sind uns keine Auswertungen der migrantischen Kriminalität bekannt.
In den USA hat sich gezeigt, dass MigrantInnen (= AusländerInnen + Eingebürgerte) seltener inhaftiert werden als StaatsbürgerInnen. Paradoxerweise steigt das Risiko delinquent zu werden, je länger sie in ihrer neuen Heimat leben. Schlussendlich ist die Kriminalitätsrate von MigrantInnen zweiter Generation höher als die der Vergleichsgruppe. Wie wir unter Punkt C. sehen werden ist letzteres Ergebnis robust und wurde auch in deutschen Studien beobachtet.

C. Befragungen – Nachkommen von MigrantInnen

Je nach Fragestellung sind anonyme Befragungen verlässlicher als Kriminalitätsstatistiken, weil sie auch Straftaten erfassen, die nie zur Anzeige gebracht werden (Dunkelziffer). Deshalb werden Befragungen zur Dunkelfeldforschung gezählt. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie robustere statistische Korrekturen zulassen, weil Risikofaktoren durch Befragung besser erfasst werden. Dunkelfeldforschung ist das beste Werkzeug um die Frage zu beantworten ob Migration per se ein individueller Risikofaktor für Delinquenz ist, weil man damit Personen mit Migrationshintergrund erreicht.
Natürlich haben Befragungen auch Nachteile. Da sie überwiegend an Schulen durchgeführt werden erlauben sie nur die Erfassung der Jugendkriminalität. Weiters kann man bei einer Befragung nur schwer ausschließen, dass manche Cliquen ihre Vergehen systematisch über- oder untertreiben. Möglicherweise finden sozial Schwache Gewalt eher glamourös – wie z.B. im Hip Hop häufig propagiert – und übertreiben daher ihre Gewaltbereitschaft.

Die Aussagen großer SchülerInnenbefragungen zum Thema Migration und Kriminalität sind dennoch eindeutig. Jugendliche mit Migrationshintergrund haben eine höhere Affinität zu Gewalt aber bei anderen Delikten lassen sich kaum Unterschiede ausmachen. Besonders groß ist der Effekt bei WiederholungstäterInnen. Die religiös-ethnische Zuordnung spielt hingegen nur eine kleine Rolle (siehe unten für eine detaillierte Diskussion). Daraus lässt sich ableiten, dass Migrationshintergrund per se der wichtigste Risikofaktor für Delinquenz ist und nicht bestimmte Eigenschaften oder Charakterzüge von MigrantInnen – etwa Religion, Frauenbild oder Kultur.

Auch andere Untersuchungsmethoden finden Vergleichbares. Sonderauswertungen der Kriminalitätsstatistik zeigen, dass MigrantInnen mit deutschen Wurzeln („Spätaussiedler”) häufiger von Gewalt betroffen sind, je länger sie in Deutschland leben. Das ist konsistent mit amerikanischen Studien auf Basis von Vollzugsstatistiken wie unter Punkt B. diskutiert wurde.

1.1 Fazit: große Unterschiede zwischen MigrantInnengruppen

AusländerInnen als Gruppe sind sehr heterogen, was man bei der Interpretation der Daten nicht vergessen darf. Zwar zeigen alle Untersuchungen, dass AusländerInnen in der Kriminalitätsstatistik überrepräsentiert sind, doch das Problem lässt sich durch sozioökonomische Faktoren und Demographie weitgehend oder vollständig erklären. Weit ab vom Klischee des kriminellen Ausländers zeigt sich sogar, dass ArbeitsmigrantInnen gesetzestreuer sind als StaatsbürgerInnen.
Im Gegensatz dazu ist die Jugendkriminalität geradezu paradox. Die Nachkommen gesetzestreuer MigrantInnen sind ungeachtet ihrer Abstammung oder Religion tendenziell gewalttätiger.

Diese Resultate sollten uns zu denken geben. Wenn MigrantInnen zweiter Generation überdurchschnittlich gewalttätig sind, nicht aber ArbeitsmigrantInnen, könnte die Ursache für Kriminalität in unserem Land liegen. Ist die Jugendkriminalität also hausgemacht?

1.2. Warum sind jugendliche MigrantInnen (zweiter) Generation eher gewaltbereit?

Es gibt drei Erklärungsansätze um Kriminalität unter jungen MigrantInnen zu erklären:

Die Idee des „äußeren Kulturkonflikts“ besagt, dass MigrantInnen eine gewalttätige Kultur oder Religion mitbringen und sich nicht vollständig anpassen. Beispiele wären „gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen” (GLMN) und innerfamiliäre Gewalt bei Personen aus dem islamischen Kulturkreis. Solche Männlichkeitsnormen behaupten sich in Regionen wo der Rechtsstaat schwach ist und Männer historisch die Rolle innehatten ihre Familie zu verteidigen.

Die hohe Rate an Drogenmissbrauch bei MigrantInnen aus der ehemaligen Sowjetunion ist ein weiterer Risikofaktor für Kriminalität, der importiert wird. Doch es gibt ein Problem mit dieser Erklärung. Warum das Gewaltproblem erst in der zweiten Generation und später ausbricht, vermag diese Art von Kulturkonflikt nicht vollständig zu erklären.

Die nächsten zwei Ansätze lassen sich gut mit einem Merksatz einleiten: Kriminalität entsteht wenn europäischen Ansprüchen keine europäischen Chancen gegenüberstehen

Die Marginalisierungsthese besagt, dass Perspektivlosigkeit und Diskriminierung Gewalt fördern. Tatsächlich sind mangelnde Bildung und Armut in den meisten Studien wichtige Risikofaktoren kriminell zu werden. Die gesellschaftlichen Außenseiter geraten häufiger auf die „schiefe Bahn”, indem sie sich delinquente Peergroups suchen. Wohn- und Schulsegregation kann diesen Prozess fördern.

Die Idee des „inneren Kulturkonflikts” ist etwas komplexer und besagt, dass MigrantInnen durch den Anpassungsprozess (Akkulturation) leiden. Einerseits kann es belastend sein, wenn sich MigrantInnen weder mit der Aufnahmegesellschaft noch ihrem Herkunftsstaat identifizieren können. Möglicherweise leiden junge MigrantInnen hier besonders.

Auch ein anderer Umgang mit Ausgrenzungserfahrungen könnte eine Rolle spielen. Vielleicht finden sich die Eltern leichter mit gesellschaftlicher Benachteiligung ab, weil sie sich tatsächlich fremd fühlen und eine gewisse Dankbarkeit empfinden, überhaupt im Land sein zu dürfen. Doch wie erleben ihre Kinder, die in Österreich geboren wurden, Diskriminierung? Die Plakatkampagne „Kolaric” aus dem Jahre 1973 betrifft den Umgang mit ArbeitsmigrantInnen, aber sie zeigt uns gleichzeitig wie Diskriminierung aus der Perspektive junger Menschen aussieht: absurd und herzzerreißend.

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Quelle: http://www.bildarchivaustria.at/Preview/16063648.jpg

Es gibt zahlreiche weitere Probleme. Als Neuankömmlinge leiden MigrantInnen auch unabhängig von aktiver Ausgrenzung an verringerter sozialer Vernetzung, was insbesondere bei Jugendlichen den Kontakt zu delinquenten Peergroups fördern kann. Wenn Jugendliche im Zuge der Akkulturation in Konflikt mit ihren Eltern und deren Werten geraten, kann das die ansonsten schützende Wirkung elterlicher Kontrolle untergraben.

1.3. Warum sind AusländerInnen in Gefängnissen überrepräsentiert?

Obwohl AusländerInnen nur ca. 10 % der Gesamtbevölkerung ausmachen gehen 30 % der Anzeigen auf sie zurück. Ihr Anteil an der Gefängnispopulation ist mit 45 % noch einmal deutlich höher. Die Überrepräsentation von AusländerInnen in der Kriminalitätsstatistik hat die unter Punkt 1. erwähnten Gründe wie Demographie und Anzeigerisiko, aber um die hohe Anzahl ausländischer Gefängnisinsassen zu erklären müssen wir weitere Gründen suchen.

Als Erklärung käme z.B. ein höheres Verurteilungsrisiko oder ein härteres Strafmaß in Frage. Es ist auch denkbar, dass AusländerInnen andere Taten begehen, die schwerer bestraft werden. Doch nach Vergleich von Gerichtsakten zeigt sich: AusländerInnen werden beim gleichen Tatverdacht ähnlich häufig verurteilt, aber deutlich härter bestraft als Deutsche. Die Fremdheit der MigrantInnen führt Richter und Anwälte dazu diese gefährlicher einzuschätzen und damit zu härteren Strafen, spekuliert der Kriminologe Christian Pfeiffer.

Man könnte weiters spekulieren, dass die Verurteilungen höher sind als erwartet. Denn wenn das Anzeigerisiko überhöht ist, sollte man bei den Verurteilungen einen „regression to the mean“-Effekt erwarten.

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Quelle: standard.at

1.4. Frauen als Opfer und Täterinnen

Gewalt steht im Fokus der Migrationsdebatte. Doch fast 90 % aller Gewaltverbrechen werden von Männern begangen weshalb Frauen und Mädchen häufig außer Acht gelassen werden. Erstens, sind viele Studien zu klein um verlässliche Aussagen über Täterinnen zu machen. Zweitens, finden sich die größten Unterschiede zwischen MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen bei Männern und Jungen, wahrscheinlich weil Machismo eine wesentliche Ursache von Gewalt ist („gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen“ [GLMN]).

Wir wissen dennoch, dass die oben diskutierten Probleme wie GLMN und vermehrte Gewalt in der zweiten MigrantInnengeneration abgeschwächt auch für Frauen gelten. Außerdem hat sich gezeigt, dass muslimische Mädchen seltener Ladendiebstähle begehen, aber womöglich häufiger Opfer von häuslicher Gewalt werden (siehe 6. Fördert der Islam Gewalt gegen Frauen?).

2. MigrantInnen und Flüchtlinge: nationale Unterschiede

Die politisch heißeste Frage ist sicherlich ob islamische MigrantInnen besonders „gefährlich“ sind, aber auch nordafrikanische MigrantInnen sind kürzlich in die Negativschlagzeilen geraten. Handelt es sich hier um Stereotypen oder doch Mythen mit einem Kern an Wahrheit?

Zu aller erst dürfen wir nicht vergessen, dass die Daten zum Thema Migration lückenhaft sind und durch statistische Faktoren verzerrt werden können. Definitive Aussagen über bestimmte AusländerInnengruppen sind problematisch, weil sich Fluchtgründe, Demographie und sozioökonomische Parameter zwischen den Gruppen stark unterscheiden – und natürlich verhalten sich MigrantInnen erster und zweiter Generation anders. Deshalb müssen wir alle Pauschalaussagen mit großer Skepsis betrachten und wir sollten Befragungen mehr Gewicht beimessen als Kriminalitätsstatistiken, weil sie detailliertere statistische Korrekturen von Verzerrungsfaktoren erlauben.

2.1. MigrantInnen erster Generation

Die Ergebnisse zu erwachsenen MigrantInnen erster Generation können die Islamhypothese nicht stützen. Die deutsche, österreichische und schweizer Kriminalstatistik gibt stattdessen Hinweise darauf, dass nordafrikanische AusländerInnen häufiger kriminell werden als andere Gruppen. Syrer, Afghanen und Iraker hingegen sind deutlich unterrepräsentiert. Die Übergriffe zur Silvesternacht 2015/16 in Köln sind ein typisches Beispiel: 61 von 73 Beschuldigten stammen aus diesem Gebiet und hielten sich überwiegend ohne Erlaubnis in Deutschland auf. Doch quantitativ die meisten Einwanderer stammen aus der EU (etwa 75 %), während unter Flüchtlingen beinahe 80 % aus Syrien, Irak und Afghanistan kommen. Es macht daher keinen Sinn, Schutzsuchende wie potenzielle Kriminelle zu behandeln.

Es sollte hier nochmal betont werden, dass sich die angezeigten AusländerInnen meist unerlaubt im Land aufhalten und nur ein Bruchteil aller AusländerInnen je kriminell wird (weniger als 1 %). Aus anderen Untersuchungen wissen wir, dass ArbeitsmigrantInnen z.B. sehr gesetzestreu sind. Auch die große Gruppe der deutschen TürkInnen ist als Ganzes nicht mehr, sondern etwas weniger, kriminell als der Durchschnitt! Eine mögliche politische Forderung wäre deshalb bessere Rahmenbedingungen für AusländerInnen zu schaffen, damit sie Arbeit finden.

Offene Grenzen für Schutzsuchende bedeuten nun mal, dass auch Personen mit kriminellen Tendenzen leichter einreisen können. Besonders dann wenn die staatliche Bürokratie überfordert und unterfinanziert ist, um den Flüchtlingsstrom zu bewältigen. Es ist illusorisch zu glauben, wir könnten Schutz, d.h. humanitäre Hilfe, anbieten ohne jegliche volkswirtschaftliche Kosten. Dennoch können wir diese Herausforderung bewältigen, wie der Jugoslawienkrieg und die Wiedervereinigung Deutschlands zeigen.

Die oben dargestellten Daten sollte man nicht zu naiv interpretieren, da die Kriminalitätsstatistik weder Demographie noch soziales Milieu berücksichtigt. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht: österreichische AusländerInnen in der Schweiz sind weniger kriminell als Einheimische, aber niemand käme auf die Idee kriminelle SchweizerInnen abzuschieben. Die Ergebnisse sind einleuchtend denn österreichische MigrantInnen in der Schweiz gehören zur Elite, während Arme, die dem Elend fliehen, der sozialen Unterschicht angehören, was mit Risikofaktoren für Kriminalität assoziiert ist.

2.2. MigrantInnen zweiter Generation

In Dunkelfeldstudien zur Jugendgewalt von MigrantInnen zweiter Generation finden wir kaum Anhaltspunkte für die Idee bestimmte Nationen seien besonders kriminell. Die Prävalenz von Gewalt korreliert grob mit den Faktoren „gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen“ (GLMN) & Machismo, politische Instabilität, mangelnde Rechtsstaatlichkeit und islamisches Herkunftsland.

Es fällt jedoch auf, dass alle Jugendlichen mit Migrationshintergrund gewalttätiger sind als die Vergleichsgruppe. Die einzige Ausnahme sind hier MigrantInnen aus Asien. Es bleibt herauszufinden ob diese Einwanderer kulturelle Gemeinsamkeiten haben, die schützend wirken, oder ob die Daten verzerrt sind, weil nur die „Elite” aus Asien einwandern kann.

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Quelle: Gewalt von und gegen Migranten, Prof. Dr. Roland Eckert
– Vortrag bei der Stiftung Demokratie Saarland, 25. Oktober 2010

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3. Fördert Religion Kriminalität und Gewalt?

Religion christlicher Prägung wird häufig als ein Schutzfaktor bewertet, wohingegen die Rolle des Islams kontrovers diskutiert wird. Die meisten Daten stammen aus Beobachtungsstudien und die Kausalität ist somit schwer zu klären. Die hier vorgestellten Zusammenhänge dürfen also nicht als das letzte Wort in der Sache betrachtet werden.

Zuerst möchten wir die großangelegte KFN Studie aus dem Jahre 2010 vorstellen, in der 45.000 deutsche Jugendliche befragt wurden. Diese kontroverse Schülerbefragung unter Mitwirkung von Dirk Baier und Prof. Christian Pfeiffer zeigte, dass religiösere Muslime auch signifikant häufiger gewalttätig waren als die Vergleichsgruppe, wohingegen ein christlicher Glaube schützend wirkte. So verknappt haben es die Medien wiedergegeben, aber bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass nicht nur „die höhere Akzeptanz von Männlichkeitsnormen [sondern auch] das häufigere Erleben elterlicher Gewalt und [die] stärkere Vernetzung mit delinquenten Freunden für die höhere Gewaltbereitschaft islamischer Jugendlicher verantwortlich sind.”

Gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen (GLMN) sind eine attraktive Hypothese und gleichermaßen politisch heikel denn sie unterstellen einer Religion direkten, schädlichen Einfluss und können für pauschale Fremdenfeindlichkeit missbraucht werden.
Man darf außerdem nicht vergessen, dass auch MigrantInnen aus anderen Staaten – wie der ehemaligen Sowjetunion und Jugoslawien – ähnliche Männlichkeitsnormen übernehmen. In diesen Ländern spielt mangelnde Rechtsstaatlichkeit vielleicht eine noch größere Rolle als Religion. Jedenfalls darf nicht vergessen werden, dass die orthodoxe Kirche in Russland eine wesentliche Rolle für den Machterhalt von Putin spielt und ihre eigene Art GLMN fördert.

Elterliche Gewalt ist möglicherweise ein Sonderfall von GLMN. In einer Befragung wurden ca. 20% der deutschen Jugendlichen von ihren Eltern geschlagen, während die Rate bei ausländischen Eltern zwischen 25 und 30% lag. Türkische Familien lagen mit 35% an der Spitze, wobei die Werte nach Einbürgerung im Durchschnitt niedriger waren, was auf erfolgreiche Integration und Säkularisierung hindeutet.

Es soll nicht weiter verwundern warum manche Studien von Muslimen und andere von Türken sprechen. Türkischstämmige Sunniten sind die größte Gruppe Moslems in Deutschland sowie Österreich und die meisten türkischen Einwanderer sind muslimisch, weswegen man hier zu sehr ähnlichen Aussagen kommt. Außerdem ist die Abgrenzung gegenüber anderen Glaubensrichtungen und Nationen nur in großen Untersuchungen möglich ist.

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Es fällt jedoch auf, dass nicht alle Untersuchungen durchweg eindeutig sind und ich möchte hier einige Beispiele skizzieren.

Zwei kleinere deutsche Studien fanden kaum Hinweise auf erhöhte Gewaltbelastung unter türkischstämmigen Jugendlichen. In einer Befragungsstudie an Duisburger Schulen (n=3400) neigten männliche Jugendliche aus der Türkei nicht häufiger zu Gewaltdelikten (Bild). Eine Studie von Dirk Enzmann et al. (2010) fand nur bei leichten, nicht aber schweren Gewaltdelikten, ein erhöhtes Risiko unter türkischstämmigen Jugendlichen (n~3500). Ein möglicher Schutzfaktor könnte der geringere Alkoholkonsum unter Muslimen sein.

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Bild: insbesondere bei Mehrfachtätern sieht man einen deutlichen Trend der konsistent mit der KFN Studie ist. Befragungsstudie an Duisburger Schulen.

Die Untersuchung von Giebel et al. (2013) zur Rückfälligkeit von Jugendstraftätern fand sogar einen inversen Zusammenhang (n=400). Möglicherweise sind Muslime und Türken nach ihrer Entlassung seltener straffällig weil sie während dem Gefängnisaufenthalt besser durch ihre Familie unterstützt wurden als andere Jugendliche. Die Scheidungsrate der Eltern, beispielsweise, war sehr gering und sie pflegten häufigere Besuchskontakte.

Fazit: Es gibt Hinweise darauf, dass der islamische Glaube ein Risikofaktor für Gewaltdelinquenz ist. Die Ursache dürfte in kulturellen oder religiösen „gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen” (GLMN) und einer hohen Rate häuslicher Gewalt liegen. Andererseits kann die Religion schützend wirken weil sie mit geringerem Alkoholkonsum und besserer familiärer Kontrolle einhergeht.

Doch es gibt noch einige ungeklärte Fragen, weswegen wir noch keine definitiven Aussagen über Religionen und Kriminalität machen können.
Sind gesetzestreue Menschen eher religiös oder fördert die Religion positives Verhalten?
Ziehen kriminelle ihre Religion als Entschuldigung oder Legitimation für Gewalt heran?
Oder ist Religion vielmehr assoziiert mit einem dritten protektiven Faktor wie Familienintegrität oder geringerem Alkoholkonsum. Und inwiefern kann man hier noch von Kausalität sprechen?

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Bild: p. 117, KFN Studie 2010

3.1. Exkurs: Religion als Schutzfaktor gegen Kriminalität

Die Frage, welchen gesellschaftlichen Nutzen oder Schaden Religionen als künstliches, soziales Konstrukt im Bezug auf Gewaltkriminalität haben, wird aktiv erforscht. Bis jetzt ist nicht klar wie groß die Unterschiede zwischen einzelnen Religionen, Sekten und Gruppen sind. Doch den meisten Religionen ist eine Art Ehrenkodex sowie die Strafandrohung im Jenseits gemein und beide Faktoren könnten durchaus delinquenzmindernd wirken. Außerdem ist die religiöse Gemeinschaft in der Lage ungewolltes Verhalten zu kontrollieren und womöglich präventiv einzugreifen.

Auf den ersten Blick stützt die große KFN Studie 2010 die Annahme Religion sei schützend, aber bei genauerem Hinschauen sehen wir ein differenzierteres Bild.

Im KFN Bericht fällt auf, dass für evangelische Jugendliche aus Ostdeutschland der Grad der Religiosität nicht mit Gewaltdelinquenz korreliert. Das steht im Gegensatz zu katholischen und protestantischen Jugendlichen im Westen und die Autoren machen dafür eine fehlende Einbettung in die religiöse Gemeinschaft verantwortlich. Auch die heterogene Gruppe der „anderen” Religionen hat keine Schutzwirkung. Daraus könnte man ableiten, dass die Einbettung in eine weltliche oder religiöse Gemeinschaft gleichermaßen schützend sein könnte. Tatsächlich wird in der Fachliteratur angenommen, dass auch „Vereine Werte und Normen über den Kreis der Vereinsmitglieder hinaus verbreiten und … somit als öffentliches Gut positive Wirkungen auf alle Gemeindebewohner [erzeugen]“

4. Einstellung zur demokratischen Gesellschaft und Gewalt – die Rolle des Islam

Laut einer Umfrage unter Muslimen bevorzugen 18% der Befragten „islamische Rechtsvorschriften” gegenüber österreichischen. Ist damit also belegt wie gefährlich der Islam ist? Nein. Solche Statistiken eignen sich höchstens für eine Schlagzeile aber bestätigen lediglich den Truismus homo homini lupus est. Denn wissen wir wie gefährlich die Vergleichsgruppe ist?

Fast 30 % der ÖsterreicherInnen finden es akzeptabel Kinder zu ohrfeigen und jede(r) zweite Jugendliche erlebt Gewalt in der Erziehung. Mehr als ein Viertel der Personen aus der Gruppe der LGBT hat schon einmal Gewalt erlebt und 20% der Frauen in Österreich wurden Opfer sexueller Gewalt. Das überwiegend katholische Österreich ist also keine Insel der Seligen. Um zu beantworten ob Muslime ein höheres Gewaltpotenzial haben, ist es daher notwendig repräsentative Daten mit Vergleichsgruppe heranzuziehen.

Die großangelegte „Six Country Immigrant Integration Comparative Survey” versuchte religiösen Fundamentalismus christlicher und muslimischer Prägung unabhängig von sozioökonomischen Faktoren zu erheben, i.e. Bildungsniveau, Arbeitsmarktstatus, Alter, Geschlecht und Familienstand. Es wurde die Zustimmung zu drei Aussagen gemessen:
„Die Regeln des Koran (der Bibel) sind mir wichtiger als die Gesetze Österreichs.“
„Es gibt nur eine Auslegung des Koran (der Bibel) und alle Muslime (Christen) müssen sich daran halten.“
„Muslime (Christen) sollten zu den Wurzeln des Islam (Christentums) zurückkehren.“

Es zeigte sich, dass 55% der Muslime alle drei Aussagen bejahten aber nur 4% der befragten Christen. Türkischstämmige und marokkanische Sunniten waren etwa gleich intolerant, aber unter türkischen Aleviten waren nur 15% Fundamentalisten. Eine weitere Frage zu Homophobie brachte ein ähnliches Ergebnis. Für 69% der Muslime kommt eine Freundschaft mit homosexuellen Personen nicht in Frage während es bei Christen immer noch erschreckende 15% sind.
Der niedrigere Anteil an Fundamentalisten unter den Aleviten ist der einzige Lichtblick und zeigt, dass der Koran möglicherweise genauso flexibel auslegbar ist wie die Bibel.

In anderen Studien zeigt sich, dass junge Muslime Gewalt eher befürworten als Nichtmuslime, was im Einklang ist mit Untersuchungen zur Gewaltausübung. Die Ergebnisse werden durch sozioökonomische Faktoren, Bildungsgrad, häusliche Gewalt und „gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen” erklärt, wobei die letzten zwei direkt mit dem Islam oder der Kultur islamischer Staaten zusammenhängen könnten.

5. Religion, Herkunft und Integration

Religion kann ein Integrationshindernis darstellen wenn sie in Parallelgesellschaften gelebt wird. Andererseits kann eine religiöse Gemeinschaft auch eine erste Anlaufstelle für MigrantInnen sein und verhindern, dass sich Menschen alleingelassen fühlen und kriminellen Peergroups zuwenden.

Zumindest in deutschen Schülerbefragungen fällt Religion eher in die Kategorie Integrationshindernis. Muslime und türkische MigrantInnen haben niedrigere Integrationswerte als andere Gruppen. Auf den ersten Blick zeigen auch Katholiken Segregationstendenzen, aber wenn man protektive Drittvariablen berücksichtigt, findet man nur noch bei Muslimen einen starken, unabhängigen Effekt von Religion. Hierbei spielt es keine Rolle ob es sich um schiitische, sunnitische oder alevitische Muslime handelt und die Segregationstendenz nimmt in der Reihenfolge Türkei > Nordafrika > Jugoslawien ab.

Manchmal werden Integrationsbestrebungen kritisch gesehen und mit Assimilation oder der Aufgabe der eigenen Kultur verwechselt. Tatsächlich bedeutet Integration aber Einbindung in die Aufnahmegesellschaft unter Beibehaltung der eigenen Kultur, z.B. Erwerb von Sprachkenntnissen, Selbstidentifikation als ÖsterreicherIn, interkulturelle Freundschaften, Gesellschaftliche Teilhabe, etc. Eine positive Folge der gesellschaftlichen Einbindung ist ein stark verringertes Risiko für Gewalttaten.

Integration wird begünstigt durch einen hohen Bildungsstand der Eltern, deutschsprachige Nachbarn und Kindergartenbesuch. Mädchen sind besser integriert als Burschen, Muslime schlechter als Nichtmuslime, was einen Zusammenhang zwischen Integration und „gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen” vermuten lässt. Hier muss die Politik ansetzen!

Ein weiterer Grund für mangelnde Integration könnte ein Teufelskreis aus Rassismus und Abschottung sein. Beinahe 90 % der Muslime fühlen sich durch „den Westen“ bekämpft. Diese Erfahrung ist leider nicht realitätsfern. Immerhin würden 40 – 50 % der ÖsterreicherInnen AusländerInnen alle Rechte zur politischen Betätigung absprechen und 50 – 60 % bewerten das Zusammenleben mit Muslimen als schlecht. Wenn sich Muslime folglich aus Selbstschutz abschotten, könnte sie das fremdartig und gefährlich wirken lassen und Diskriminierung fördern.

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Die Einbindung in die Mehrheitsgesellschaft bei gleichzeitiger Distanzierung von der Herkunftsgesellschaft wird mit dem Begriff der „Assimilation“ beschrieben, der umgekehrte Fall als „Segmentation“ bzw. „Segregation“…. Beibehaltung der eigenen Kultur bei gleichzeitiger Anpassung an die deutsche Kultur [ist] „Integration“…
Jugendliche als Opfer und Täter von Gewalt in Berlin, Nr. 45, p. 47ff

6. Fördert der Islam Gewalt gegen Frauen?

MigrantInnen sind besonders häufig von häuslicher Gewalt betroffen, aber auch hier ist wieder schwer zu unterscheiden ob der Islam eine kausale Rolle spielt. Es ist einerseits klar, dass „gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen” (GLMN) verstärkt bei muslimischen Einwanderern ausgeprägt sind. Das gilt für Frauen sowie Männer. Die Definition von GLMN inkludiert Gewaltbereitschaft gegenüber Frauen, darunter Zuspruch zu Aussagen wie:
„Als Vater ist ein Mann das Oberhaupt der Familie und darf sich notfalls auch mit Gewalt durchsetzen.”
„Wenn eine Frau ihren Mann betrügt, darf der Mann sie schlagen”

Doch man darf nicht vergessen, GLMN sind zu einem bedeutenden Teil die Folge von Armut und der harten Lebensrealität vieler Gesellschaften und nicht ausschließlich religiöser Natur!

Man könnte besser argumentieren, dass eine mangelnde Willkommenskultur das Risiko für Gewalt erhöht. Denn die Lebensumstände von MigrantInnen sind unabhängig von der Religion ein Risikofaktor, Opfer von häuslicher Gewalt zu werden, insbesondere mangelnde Sprachkenntnisse, Armut und prekärer Rechtsstatus. Viele Opfer nehmen keine Hilfe in Anspruch weil sie etwa Angst vor Abschiebung haben und wenn sie Hilfe suchen können sie häufig nur schwer mit Polizisten und Ärzten kommunizieren. Im schlimmsten Fall trivialisieren die potenziellen Helfer die Taten als Hysterie oder Missverständnis und es wird eher dem Partner mit besseren Sprachkenntnissen Glauben geschenkt, was häufig der Mann in der Familie ist.

Außerdem sind GLMN nicht der einzige Faktor durch den Religion das Risiko für Frauen erhöht, Opfer von Gewalt zu werden. Ein weiteres Problem ist, dass Frauen, die sich als besonders religiös – insbesondere jüdisch oder muslimisch – beschreiben, eher dazu neigen Gewalt als „gottgewollt” zu akzeptieren.

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Informationsblatt: Häusliche Gewalt im Migrationskontext

7. Zusammenfassung und Ausblick

1. ArbeitsmigrantInnen sind gesetzestreuer als die einheimische Bevölkerung, während MigrantInnen zweiter Generation und AusländerInnen ohne Aufenthaltsberechtigung und daher prekärem Rechtsstatus eher kriminell sind.
2. Kriminalität lässt sich kaum auf individuelle ethnische oder religiöse Merkmale zurückführen. Kriminalstatistiken weisen überhöhte Werte aus, weil MigrantInnen überwiegend arm, männlich und jung sind. Vielmehr ist Kriminalität eine Folge komplexer, ethnienübergreifender Probleme wie „gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen” (GLMN), häusliche Gewalt, Integrationskonflikte und Kriminalisierungsrisiko.
3. GLMN sind ein Spezialfall, da diese teilweise durch den Islam mitbedingt werden.
4. Die Kosten durch Kriminalität sind der Preis den wir für die Leistung humanitärer Hilfe zahlen.
5. Den Kosten durch Kriminalität steht ein längerfristiger Nutzen für den Arbeitsmarkt und das Pensionssystem gegenüber, wenn die Ausländer gut integriert werden können.
6. Es wäre unmenschlich MigrantInnen für Risikofaktoren zu bestrafen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, etwa durch Kürzung der Sozialleistungen und Einschränkung des Asylrechts.
7. Die Abschiebung von StraftäterInnen in Staaten, die ein schwach ausgebildetes Rechtssystem haben, kann nicht die Lösung sein, weil sie das Problem nur verlagert.

8. Möglichkeiten und Grenzen der Politik

Eine Reihe von Maßnahmen könnte helfen die Kriminalität unter MigrantInnen zu senken. Viele davon könnte man schnell und günstig implementieren während andere Maßnahmen einiges an Investitionen bedürfen oder kontroversiell sind.

Es ist eine Binsenweisheit, dass die Integration von MigrantInnen wichtig ist. Doch was können wir in der Praxis machen? Deutschkurse sollten noch günstiger verfügbar gemacht werden. Soziale Durchmischung in Wohnvierteln, Kindergärten und Schulen ist essentiell um zu verhindern, dass Jugendliche in Kontakt mit delinquenten Peergroups kommen. Außerdem erleichtert der Kontakt mit Einheimischen den Spracherwerb. Daher muss noch mehr Geld in den sozialen Wohnbau fließen um Wohnungssegregation vorzubeugen. Auch die Gesamtschule und der verpflichtende, frühestmögliche Kindergartenbesuch könnten die soziale Einbettung von MigrantInnen verbessern.

Bildung fördert die Integration und wirkt kriminalitätsvorbeugend, bleibt AusländerInnen und Flüchtlingen aber häufig verwehrt. Bis vor kurzem konnten Flüchtlinge keine Lehre anfangen solange der Asylantrag nicht positiv beschieden wurde (das dauert 4 Monate pro Instanz, manchmal deutlich länger). Heute können sie wenigstens in Mangelberufen arbeiten.

Natürlich darf Integration nicht bevormundend sein. Bilinguale Erziehung und kultureller Austausch müssen gefördert werden. Der Teufelskreis aus Angst und Hass muss durchbrochen werden. AusländerInnenfeindlichkeit führt zu Abgrenzungsprozessen der Betroffenen und häufig zu jenen Konflikten mit ÖsterreicherInnen, die wiederum die Grundlage für weitere Exklusion bilden – ein Teufelskreis.

Integration am Arbeitsmarkt ist essentiell. Das Beschäftigungsverbot für noch nicht anerkannte Flüchtlinge muss fallen. Doch wie kann man andere MigrantInnen besser integrieren? Wenn es tatsächlich „nicht genug Jobs“ geben sollte wie häufig lamentiert, kann der Staat mit Hilfe von fiskalpolitischen Maßnahmen Anreize für neue Jobs schaffen z.B. durch Bauprogramme gegen Wohnungsarmut und Ökologisierungsinvestitionen.

Eine der wichtigsten Maßnahmen wäre den Sozialstaat zu stärken um den Risikofaktor Armut zu bekämpfen. Das Sozialsystem muss eine Umverteilung von Reich zu Arm erlauben, etwa durch progressivere Einkommens- und Vermögenssteuern. Ohne staatliche Unterstützung ist eine Ausbildung für viele Menschen unerreichbar, da man während dem Studium oder einer Lehre nicht genug verdient um sich oder gar eine Familie zu erhalten. Die Kinder armer MigrantInnen sind auch in der Schule benachteiligt z.B. bei teuren Schulausflügen, Schulartikeln, Büchern, Nachhilfe, uvm.

In der Realität benachteiligt das Sozialsystem AusländerInnen systematisch anstelle zu helfen und erschwert ihnen den beruflichen Wiedereinstieg. Die Mindestsicherung ist das letzte Sicherheitsnetz vor der Obdachlosigkeit, aber Anspruch hat nur, wer sich länger als 5 Jahre in Österreich aufhält. Eine Lockerung auf 12 – 24 Monate wäre sinnvoll.

Eine intakte Familie und elterliche Supervision können kriminalitätsvorbeugend wirken.
Nicht zuletzt deshalb ist der Familiennachzug überwiegend positiv zu bewerten. Der Zuzug von Frauen und Kindern würde die Kriminalitätsrate automatisch senken und das Pensionssystem entlasten.

Gewalt fördert Gewalt. Kampagnen zur Gewaltprävention in der Familie wären daher wünschenswert, aber ihre Effektivität sollte kritisch evaluiert werden.

Patriarchale und religiöse Strukturen müssen geschwächt und durch säkulare Alternativen ersetzt werden. Dies ist leichter gesagt als getan und wird wohl ein langfristiges Projekt. Wohlstand, Sicherheit und Bildung leisten den größten Beitrag zur Säkularisierung.
Parallel dazu müssen wir verhindern, dass Religionsgruppen soziales Engagement für sich vereinnahmen. Das österreichische Vereins- und Sportwesen könnte einen Beitrag zur Integration leisten, indem es als Alternative zur religiösen Betätigung dient.
Ein positiver Einfluss des Islam kann in einem geringeren Alkoholkonsum von Moslems gesehen werden. Möglicherweise lässt sich auch diese Tradition säkularisieren.

Mehr Polizei senkt möglicherweise die Gesamtkriminalität (insbesondere Raub und Diebstahl) aber nur wenn die Polizeikräfte gut ausgebildet sind. Zusätzlich könnte eine bessere Ausbildung und größere Anzahl an PolizistInnen mit Migrationshintergrund helfen das Kriminalisierungsrisiko von MigrantInnen zu reduzieren. Mehr Sozialarbeiter an Schulen und für Familien, könnten helfen mit migrantenspezifischen Problemen umzugehen.

Risikofaktoren wie Alkohol, Drogen und Spielsucht betreffen besonders arme Menschen. Stärkerer Jugendschutz und höhere Steuern können hier entgegenwirken. Legalisierung und Dekriminalisierung von Drogen würde verhindern, dass Menschen auf die schiefe Bahn geraten. Wie häufig angedacht könnten die Einnahmen zweckgebunden verwendet werden.

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